Filmrezension: Herr Lehmann

Herr Lehmann heißt eigentlich Frank, aber da er schon bald dreißig wird, nennen ihn alle nur noch “Herr Lehmann”.

Herr Lehmann ist der Schutzpatron aller Tresenkräfte, Bierkonsumenten und Liebhaber sinnloser Gespräche, die sich im Schutz der Mauer im Berlin-Kreuzberg des Jahres Jahres 1989 eingerichtet haben.

Während sich im Ostteil der Stadt große gesellschaftliche Umbrüche ankündigen, hält auch viel Unerwartetes Einzug in Herrn Lehmanns Leben: Ein aufdringlicher Hund, der Besuch seiner Eltern, die Liebe zur schönen Köchin Katrin, sein bester Freund Karl und ein unbekannter Kristallweizen-Trinker sorgen in kurzer Zeit für mehr als Unruhe und Herr Lehmann hat alle Hände voll zu tun, diese Herausforderungen zu bewältigen. Und ausgerechnet am Tag seines 30. Geburtstages fällt auch noch die Mauer.

Wer Christian Ulmen seinerzeit auf MTV in “Unter Ulmen” oder einer seiner anderen Sendungen gesehen hat, der wird gewisse Zweifel über seine Auswahl für die Hauptrolle in einem Spielfilm teilen. Regisseur Leander Haußmann scheint diese Zweifel nicht gehabt zu haben und bewies damit den richtigen Riecher. Ulmen spielt eine reichlich seltsame Gestalt in einer reichlich seltsamen Stadt – und das sehr überzeugend.

Haußmann ist es gelungen, einen netten, kleinen Film über einige sehr skurile und doch – oder gerade deswegen? – liebenswerte Charaktere zu machen.
In einer Zeit, in der man nur mit immer teureren Spezieleffekten und großen Namen mehr Menschen ins Kino bringt – und auch bringen muss, um sich nicht selbst das Wasser abzugraben – hat Haußmann ein gewagtes Experiment versucht, indem er eine Geschichte über echte Menschen von echten Menschen erzählen lässt.

Ein Regie-Kollege Haußmanns, Detlev Buck, findet sich in einer der wichtigsten Rollen, nämlich der des Lehmann-Bewunderers, Freundes, Barkeepers und Künstlers Karl, der wie auch Lehmann selbst, in der Geschichte einige Male zwischen (beinahe) strahlendem Helden und tragischer Figur pendelt.

Die Geschichte über einige seltsame Gestalten an einem seltsamen Ort zu einer seltsamen Zeit erinnert ein wenig an “The Big Lebowsky”. Zumindest geht es mir so, denn in beiden Filmen wird auf zwar überzogene aber doch gerade irgendwie noch glaubhafte Art und Weise die Beziehung von Menschen in diesen chaotischen Zeiten zueinander geschildert. Den Reiz machen dabei sowohl die durchweg tolle Besetzung als auch die Story selbst aus.

“Herr Lehmann” ist kein spektakulärer Film und mancher wird ihn ohne Zweifel langweilig finden oder über mangelndes Verständnis klagen. Ich denke, dass es genau darum geht – es gibt nicht wirklich viel zu verstehen und es geht nicht darum, Unterhaltung für die ganze Familie zu bieten. Viel mehr geht es bei “Herr Lehmann” um ein gewisses Understatement, denn der Film ist in seiner ganzen Machart eher leise und dezent und wer bereit ist, sich auf diese leise und dezente Art einzulassen, der wird ohne Zweifel gut unterhalten werden.

Der Regisseur hat es geschafft, eine kleine aber durchaus fesselnde Welt zu erschaffen, an der er den Zuschauer durch die Kamera teilhaben lässt. Er bietet eine unterhaltsame Momentaufnahme des Lebens einiger Menschen, wie man sie nicht überall sieht und dessen, was in dieser kleinen Welt geschieht und bittet das Publikum im Gegenzug nur um die Bereitschaft, sich auf den Film einzulassen. Damit hat Buck ein faszinierendes Kunststück vollbracht, nämlich großes Kino auf sehr unaufdringliche Art zu produzieren. Prädikat unbedingt sehenswert.

Der Film liegt auf der DVD in deutscher Dolby-Digital-5.1-Tonspur mit optionalen englischen Untertiteln vor. Es gibt einen Audiokommentar von Regisseur Leander Haußmann und Drehbuchschreiber Sven Regener, das beinahe schon obligatorische und trotzdem sehenswerte “Making of”, eine von Christian Ulment kommentierte Fotogalerie, Interviews mit und Infos über Cast & Crew sowie einige entfallene Szenen, die auch beim zweiten Mal ansehen noch Spaß machen. Zudem findet sich ein Videoclip im Bonusmaterial, nämlich “Collapsing New People (Westbam Remix)” von Fad Gadget.
Ausserdem liegt dem Film ein achtseitiges Büchlein namens “Tagebuch eines Praktikanten” bei, das eben jener Praktikant, David Gruschka mit Namen, geschrieben hat. Unter www.herr-lehmann.de gibt es das ganze auch online, die Aufmachung der gedruckten Version ist aber unzweifelhaft ansprechender.