Entschuldigung an… mich

Vor vielen Jahren erläuterte mir eine sehr kluge Frau die Sinnlosigkeit und den hinter Neujahresvorsätzen steckenden Selbstbetrug. Wäre ich also nicht aus tiefstem Herzen von der Sinnhaftigkeit dieses Vorsatzes überzeugt, würde ich ihn nicht fassen.

Zur Vorgeschichte

Viele Jahre verbrachte ich in dem Glauben, mein Körper wäre unverhältnismäßig anfällig für Krankheiten und quasi für nichts zu gebrauchen. Als Konsequenz habe ich meinen Körper ziemlich misshandelt: ungesundes Essen, zu wenig Schlaf an ungeeigneten Orten, zu wenig – um nicht zu sagen keine – Bewegung und manches mehr haben ihre unverkennbaren Spuren hinterlassen: Übergewicht in krankhaften Dimensionen, unverhältnismäßig häufige und unverhältnismäßig lang dauernde Erkältungskrankheiten, unreine Haut, diverse besorgniserregende Blutwerte und erste Spuren einer krankhaften Veränderung der Leber sind nur die dominantesten Anzeichen dieses Raubbaus.

Heute

Seit der Operation habe ich rund 15 Kilo Gewicht verloren. In den ersten Wochen, als ich noch kaum in der Lage war, mich selbst zu bewegen ging dies massiv zu Lasten der Muskulatur. Gerade in den letzten Wochen aber zeigt die ungeahnte körperliche Betätigung Folgen und spätestens als vor einigen Wochen meine Beine erstmals in der Lage waren meinen Körper auch ohne Hilfe aus einem Winkel kleiner 90° hoch zu drücken stand fest, dass die abgebaute Muskulatur mehr als nur zurückkehrte. Ich begann eine nie gekannte Achtung vor der Leistungsfähigkeit der von mir so lang so sträflich vernachlässigten Hülle zu empfinden.

Mein Körper hat einen zwölfstündigen operativen Eingriff am zentralen Nervensystem ohne jede Komplikation überstanden, der mir als Souvenir eine gut 15cm lange und quasi an der Schädelbasis beginnende Narbe hinterlassen hat. In den letzten 3 Monaten hat mein Körper x-fach beginnende Erkältungen und zwei Harnwegsinfekte abgewehrt. Obwohl ich wahrlich kein Sportler bin, versagte mein Kreislauf bei den klassischen Belastungsproben – Aufsetzen an der Bettkante, Aufstehen etc. – nicht ein mal. Obwohl ich kein Sportler bin, toleriert mein Körper die Belastungen und Strapazen nicht nur, sondern wächst gerade bei großen Herausforderungen in der Physio- oder medizinischen Trainingstherapie über sich hinaus – sicher nicht zuletzt der geänderten Geisteshaltung wegen, die wiederum vom Aufwärtstrend ihres „Transportbehältnisses“ profitiert. Mens sana in corpore sano? Ohne jeden Zweifel!

Erkenntnis

Ich war noch nie so zufrieden, sogar stolz auf meinen Körper, seine Leistungsfähigkeit und seine Widerstandsfähigkeit wie ich es angesichts der letzten Wochen und Monate bin. Diese Erkenntnis zwingt mich geradezu, mich bei meinem Körper für Missbrauch und Misstrauen zu entschuldigen. Weil ich viel über ihn gelernt habe und jetzt weiß was mit ihm möglich ist, wenn ich ihn gut behandle, verspreche ich meinem Körper genau das in Zukunft zu tun – gute Behandlung statt Raubbau, Vertrauen statt Misstrauen.

Zeiten ändern mich

Die billige Anspielung auf den Titel eines in diesem Jahr erschienen Films mit Moritz Bleibtreu sei mir verziehen – dieser Eintrag beschäftigt sich mit jüngsten Veränderungen des ergebenen Verfassers dieser Zeilen.

Früher, in der guten alten Zeit, antwortete ich auf die Frage „Wie geht’s?“ üblicherweise mit einem lapidaren „passt schon“ – gleichbedeutend mit „geht so“, aber oft auch mit „lass mich in Ruhe“. In letzter Zeit fällt mir immer wieder auf, dass ich die gleiche Frage ohne nachzudenken immer wieder mit „gut, sogar sehr gut“ beantworte. Das wäre für sich genommen schon bemerkenswert, wird aber noch verstärkt angesichts der Tatsache dass ich unverändert auf einen Rollstuhl angewiesen bin und diesen auch absehbar zur Fortbewegung brauchen werde.

Abgesehen davon, dass ich mich dennoch nie so wohl in meiner Haut fühlte soweit ich mich zurück erinnern kann, ist der ausschlaggebende Faktor ein in einem wesentlich Punkt geändertes Denkmuster: anstelle der für mich typischen negativen Grundhaltung habe ich mich mit einigem Erfolg an eine positivere Herangehensweise gewöhnt: jeden Tag bemühe ich mich um die Erinnerung an 5 positive Ereignisse des Tages – wertvoll sind hier vor allem „interpretationsfähige“ Erlebnisse, also solche, die positiv oder negativ angesehen werden können. Rund wird das Konzept, wenn man diese Technik mit Erfolg einsetzen kann, auch um einsetzende oder bestehende Stimmungstiefs zu kontern.

Dieser veränderte Blickwinkel ist die vermutlich gravierendste, aus dem Klinikaufenthalt resultierende Veränderung – zumindest soweit es um nicht äußerlich erkennbare Dinge geht.