T – 12 Tage

Freitag, 21. Januar 2011

Katastrophal schlecht gebuchter Tag, kaum Therapien, noch weniger davon sinnvoll.
Über dem ganzen Tag liegt eine Aura der Abreise, viel Papierkram.
Erkältung besser, Arm schlimmer, Schulter richtig schlimm, vormittags sogar Probleme beim Anheben.
Auffällig: je näher Abreise rückt desto größer sind Ungeduld und Vorfreude, desto eher sind Pflegemarotten nervig.

Physio: Durchbruch mit SF: 25m im Rolator gelaufen; ungewohnt, unsicher, spannend – wirklich wenig Stützwirkung – aber vielversprechend

T – 13 Tage

Donnerstag, 20.01.2011

Noch nicht fit, aber wieder voll eingestiegen.

Ergo: CZ holt den verpassten Tag nach, Aufstehen, stehen ohne Abstützen, Gewichtsverlagerung bei gebeugten Knien, Kompensieren von Richtungdruck und -schieben; Abschluss: gehen von der Liege zum Rolli mit CZ als Absicherung

MTT: 15 Minuten Oberkörperergomether, je +1kg bei Arm- und Beinübungen

Physio: zum ersten Mal SF, spannend; Sensi-Übung für linken Fuß (damit bestätigt: linke Körperhälfte insgesamt “schwächer”), Kompensieren von Richtungdruck und -schieben; Abschluss: gehen von Liege zu Liege mit SF als Absicherung; SF will Freitagstermin von MJ, angekündigt: gehen am Rolator

Sanitätshaus bestätigt (und vermisst) Bestellung von Rollstuhl und Rolator

T – 14 Tage

Mittwoch, 19.01.2011

Krankheitsbedingter Totalausfall. Müde, Kopf- und Gliederschmerzen, erhöhte Temperatur.

Jetzt Fakt: Abreise am 02. Februar

Dominanter Gedanke: wie zu Hause mit einbgeschränkter körperlicher Funktion umgehen?

“Beurlaubung” am 23.01.

T – 15 Tage

Dienstag, 18.01.2011

Böse Erkältung: Nase dicht, Hals extrem kratzig, Kopf- und Gliederschmerzen

150m auf dem Laufband, 15 Minuten ohne Pause bei 0,3m/s, dann 6 Minuten bei 0,4 m/s, Beinmuskeln okay, starkes Schwitzen

Balancetrainer mit Trainingsspiel ausprobiert, in Zukunft statt normalem Standing

Linker Arm: Krämpfe, Schmerzen

Lyrika runter auf 25/25, ohne Auswirkungen

Zitat AH: “Seit einiger Zeit haben Sie, Wenn Sie hier her kommen, immer ein Lächeln auf dem Gesicht. Gibt’s dafür nen konkreten Anlass oder ist das was allgemeines?”

Obwohl ein Teil von mir sich die naheliegendste Erklärung – das grenzdebile Lächeln aller Frischverliebten – wünscht, handelt es sich doch eher um einen allgemeinen Ausdruck der Zufriedenheit.

T – 16 Tage

Montag, 17.01.2011

Die Gerüchte verdichten sich: der 02. Februar wird wohl mein letzter Tag hier sein. Aus diesem Grunde werde ich, zumindest in Stichpunktform, jeden Tag einen Kommentar zum Tag posten, auch um später selbst wieder darauf zurückgreifen können.

Rund 125m auf dem Laufband, 10 minuten bei 0,3m/s, danach weitere 8 Minuten bei 0,4 m/s, jeweils ohne Pause; Beinmuskeln okay, Schwitzen in Maßen

Eine Runde am Unterarmgehwagen im TZ-Obergeschoss; schneller & sicherer als beim letzten Mal; Beinmuskeln ok, kaum Schwitzen;

Generell: Beine sicherer, koordinierter und stabiler als die letzten Male; Stiefel statt Halbschuhe gute Idee

Linker Arm: Massage, minimale Besserung der Beschwerden

Das Ende naht… oder?

Es war also die erste vom neuen Oberarzt selbst geleitete Visite. Er kam, sah – und brachte große Neuigkeiten. Anfang Februar, in ziemlich genau drei Wochen könnte mein Aufenthalt in der Klinik tatsächlich zu Ende gehen. Nach über vier Monaten könnte ich erstmals wieder in meinem eigenen Bett schlafen, beim Blick aus dem Fenster die Nachbarschaft sehen, in der ich aufgewachsen bin statt des Wohnheims gegenüber, an meinem Schreibtisch sitzen, meine Agamen beobachten…

Vier Monate. Eine lange Zeit und für den Großteil dieser Zeit wünschte ich mir nichts mehr als zurück in meine eigenen vier Wände zu dürfen. Zurück nach Hause. Nach Hause? Wäre es nur so einfach.

Nach beinahe vier Monaten bin ich hier kein Fremder mehr, kenne die wichtigsten Anlaufstellen und Personen im Haus und die Station und die nähere Umgebung der Klinik sind mir vertraut. Ich habe viel Zeit mit vielen Therapeuten verbracht, wie mir die vielen bekannten Gesichter klar machen, die mich auf meinem Weg durch die Klinik freundlich grüßen. Therapeuten, von denen mir oft alles abverlangt wurde, was mein genesender Körper zu geben hatte – und manchmal mehr. Therapeuten, die genau weil sie wussten wie sie mich durch Forderung förderten einen nicht unerheblichen Anteil an meinen Fortschritten und Erfolgen hatten und noch haben und mir durch oft größeres Vertrauen in meinen Körper als ich selbst es hatte erst echtes Vertrauen in diesen Körper beibrachten.

Und dann natürlich – die Schwestern und Pfleger, die sich so wunderbar darum bemühten, dem übergroßen Fötus, der da im Oktober in ein Krankenzimmer geschoben wurde, ein Gefühl von Normalität zu vermitteln, von Sicherheit und Professionalität – das Gefühl in guten Händen zu sein. Im Lauf der Monate schwand in vielen Fällen das rein professionelle Verhältnis und wich einer Vertrautheit, vielleicht sogar den Grundzügen einer Freundschaft. Sie erlebten mich körperlich und mental schutzlos und ausgeliefert, freuten sich mit mir an meinen Fortschritten, lachten, lästerten und blödelten, richteten mich moralisch – und körperlich – wieder auf und traten mir in den Hintern wenn ich eigentlich gerade keine Lust auf Training außerhalb der eigentlichen Therapien hatte.

Mein Verstand weiß, dass ich hier nicht her gehöre. Mein Herz wird das alles dennoch vermissen.

Entschuldigung an… mich

Vor vielen Jahren erläuterte mir eine sehr kluge Frau die Sinnlosigkeit und den hinter Neujahresvorsätzen steckenden Selbstbetrug. Wäre ich also nicht aus tiefstem Herzen von der Sinnhaftigkeit dieses Vorsatzes überzeugt, würde ich ihn nicht fassen.

Zur Vorgeschichte

Viele Jahre verbrachte ich in dem Glauben, mein Körper wäre unverhältnismäßig anfällig für Krankheiten und quasi für nichts zu gebrauchen. Als Konsequenz habe ich meinen Körper ziemlich misshandelt: ungesundes Essen, zu wenig Schlaf an ungeeigneten Orten, zu wenig – um nicht zu sagen keine – Bewegung und manches mehr haben ihre unverkennbaren Spuren hinterlassen: Übergewicht in krankhaften Dimensionen, unverhältnismäßig häufige und unverhältnismäßig lang dauernde Erkältungskrankheiten, unreine Haut, diverse besorgniserregende Blutwerte und erste Spuren einer krankhaften Veränderung der Leber sind nur die dominantesten Anzeichen dieses Raubbaus.

Heute

Seit der Operation habe ich rund 15 Kilo Gewicht verloren. In den ersten Wochen, als ich noch kaum in der Lage war, mich selbst zu bewegen ging dies massiv zu Lasten der Muskulatur. Gerade in den letzten Wochen aber zeigt die ungeahnte körperliche Betätigung Folgen und spätestens als vor einigen Wochen meine Beine erstmals in der Lage waren meinen Körper auch ohne Hilfe aus einem Winkel kleiner 90° hoch zu drücken stand fest, dass die abgebaute Muskulatur mehr als nur zurückkehrte. Ich begann eine nie gekannte Achtung vor der Leistungsfähigkeit der von mir so lang so sträflich vernachlässigten Hülle zu empfinden.

Mein Körper hat einen zwölfstündigen operativen Eingriff am zentralen Nervensystem ohne jede Komplikation überstanden, der mir als Souvenir eine gut 15cm lange und quasi an der Schädelbasis beginnende Narbe hinterlassen hat. In den letzten 3 Monaten hat mein Körper x-fach beginnende Erkältungen und zwei Harnwegsinfekte abgewehrt. Obwohl ich wahrlich kein Sportler bin, versagte mein Kreislauf bei den klassischen Belastungsproben – Aufsetzen an der Bettkante, Aufstehen etc. – nicht ein mal. Obwohl ich kein Sportler bin, toleriert mein Körper die Belastungen und Strapazen nicht nur, sondern wächst gerade bei großen Herausforderungen in der Physio- oder medizinischen Trainingstherapie über sich hinaus – sicher nicht zuletzt der geänderten Geisteshaltung wegen, die wiederum vom Aufwärtstrend ihres „Transportbehältnisses“ profitiert. Mens sana in corpore sano? Ohne jeden Zweifel!

Erkenntnis

Ich war noch nie so zufrieden, sogar stolz auf meinen Körper, seine Leistungsfähigkeit und seine Widerstandsfähigkeit wie ich es angesichts der letzten Wochen und Monate bin. Diese Erkenntnis zwingt mich geradezu, mich bei meinem Körper für Missbrauch und Misstrauen zu entschuldigen. Weil ich viel über ihn gelernt habe und jetzt weiß was mit ihm möglich ist, wenn ich ihn gut behandle, verspreche ich meinem Körper genau das in Zukunft zu tun – gute Behandlung statt Raubbau, Vertrauen statt Misstrauen.