T – 13 Tage

Donnerstag, 20.01.2011

Noch nicht fit, aber wieder voll eingestiegen.

Ergo: CZ holt den verpassten Tag nach, Aufstehen, stehen ohne Abstützen, Gewichtsverlagerung bei gebeugten Knien, Kompensieren von Richtungdruck und -schieben; Abschluss: gehen von der Liege zum Rolli mit CZ als Absicherung

MTT: 15 Minuten Oberkörperergomether, je +1kg bei Arm- und Beinübungen

Physio: zum ersten Mal SF, spannend; Sensi-Übung für linken Fuß (damit bestätigt: linke Körperhälfte insgesamt “schwächer”), Kompensieren von Richtungdruck und -schieben; Abschluss: gehen von Liege zu Liege mit SF als Absicherung; SF will Freitagstermin von MJ, angekündigt: gehen am Rolator

Sanitätshaus bestätigt (und vermisst) Bestellung von Rollstuhl und Rolator

T – 14 Tage

Mittwoch, 19.01.2011

Krankheitsbedingter Totalausfall. Müde, Kopf- und Gliederschmerzen, erhöhte Temperatur.

Jetzt Fakt: Abreise am 02. Februar

Dominanter Gedanke: wie zu Hause mit einbgeschränkter körperlicher Funktion umgehen?

“Beurlaubung” am 23.01.

T – 15 Tage

Dienstag, 18.01.2011

Böse Erkältung: Nase dicht, Hals extrem kratzig, Kopf- und Gliederschmerzen

150m auf dem Laufband, 15 Minuten ohne Pause bei 0,3m/s, dann 6 Minuten bei 0,4 m/s, Beinmuskeln okay, starkes Schwitzen

Balancetrainer mit Trainingsspiel ausprobiert, in Zukunft statt normalem Standing

Linker Arm: Krämpfe, Schmerzen

Lyrika runter auf 25/25, ohne Auswirkungen

Zitat AH: “Seit einiger Zeit haben Sie, Wenn Sie hier her kommen, immer ein Lächeln auf dem Gesicht. Gibt’s dafür nen konkreten Anlass oder ist das was allgemeines?”

Obwohl ein Teil von mir sich die naheliegendste Erklärung – das grenzdebile Lächeln aller Frischverliebten – wünscht, handelt es sich doch eher um einen allgemeinen Ausdruck der Zufriedenheit.

T – 16 Tage

Montag, 17.01.2011

Die Gerüchte verdichten sich: der 02. Februar wird wohl mein letzter Tag hier sein. Aus diesem Grunde werde ich, zumindest in Stichpunktform, jeden Tag einen Kommentar zum Tag posten, auch um später selbst wieder darauf zurückgreifen können.

Rund 125m auf dem Laufband, 10 minuten bei 0,3m/s, danach weitere 8 Minuten bei 0,4 m/s, jeweils ohne Pause; Beinmuskeln okay, Schwitzen in Maßen

Eine Runde am Unterarmgehwagen im TZ-Obergeschoss; schneller & sicherer als beim letzten Mal; Beinmuskeln ok, kaum Schwitzen;

Generell: Beine sicherer, koordinierter und stabiler als die letzten Male; Stiefel statt Halbschuhe gute Idee

Linker Arm: Massage, minimale Besserung der Beschwerden

Das Ende naht… oder?

Es war also die erste vom neuen Oberarzt selbst geleitete Visite. Er kam, sah – und brachte große Neuigkeiten. Anfang Februar, in ziemlich genau drei Wochen könnte mein Aufenthalt in der Klinik tatsächlich zu Ende gehen. Nach über vier Monaten könnte ich erstmals wieder in meinem eigenen Bett schlafen, beim Blick aus dem Fenster die Nachbarschaft sehen, in der ich aufgewachsen bin statt des Wohnheims gegenüber, an meinem Schreibtisch sitzen, meine Agamen beobachten…

Vier Monate. Eine lange Zeit und für den Großteil dieser Zeit wünschte ich mir nichts mehr als zurück in meine eigenen vier Wände zu dürfen. Zurück nach Hause. Nach Hause? Wäre es nur so einfach.

Nach beinahe vier Monaten bin ich hier kein Fremder mehr, kenne die wichtigsten Anlaufstellen und Personen im Haus und die Station und die nähere Umgebung der Klinik sind mir vertraut. Ich habe viel Zeit mit vielen Therapeuten verbracht, wie mir die vielen bekannten Gesichter klar machen, die mich auf meinem Weg durch die Klinik freundlich grüßen. Therapeuten, von denen mir oft alles abverlangt wurde, was mein genesender Körper zu geben hatte – und manchmal mehr. Therapeuten, die genau weil sie wussten wie sie mich durch Forderung förderten einen nicht unerheblichen Anteil an meinen Fortschritten und Erfolgen hatten und noch haben und mir durch oft größeres Vertrauen in meinen Körper als ich selbst es hatte erst echtes Vertrauen in diesen Körper beibrachten.

Und dann natürlich – die Schwestern und Pfleger, die sich so wunderbar darum bemühten, dem übergroßen Fötus, der da im Oktober in ein Krankenzimmer geschoben wurde, ein Gefühl von Normalität zu vermitteln, von Sicherheit und Professionalität – das Gefühl in guten Händen zu sein. Im Lauf der Monate schwand in vielen Fällen das rein professionelle Verhältnis und wich einer Vertrautheit, vielleicht sogar den Grundzügen einer Freundschaft. Sie erlebten mich körperlich und mental schutzlos und ausgeliefert, freuten sich mit mir an meinen Fortschritten, lachten, lästerten und blödelten, richteten mich moralisch – und körperlich – wieder auf und traten mir in den Hintern wenn ich eigentlich gerade keine Lust auf Training außerhalb der eigentlichen Therapien hatte.

Mein Verstand weiß, dass ich hier nicht her gehöre. Mein Herz wird das alles dennoch vermissen.

Zeiten ändern mich

Die billige Anspielung auf den Titel eines in diesem Jahr erschienen Films mit Moritz Bleibtreu sei mir verziehen – dieser Eintrag beschäftigt sich mit jüngsten Veränderungen des ergebenen Verfassers dieser Zeilen.

Früher, in der guten alten Zeit, antwortete ich auf die Frage „Wie geht’s?“ üblicherweise mit einem lapidaren „passt schon“ – gleichbedeutend mit „geht so“, aber oft auch mit „lass mich in Ruhe“. In letzter Zeit fällt mir immer wieder auf, dass ich die gleiche Frage ohne nachzudenken immer wieder mit „gut, sogar sehr gut“ beantworte. Das wäre für sich genommen schon bemerkenswert, wird aber noch verstärkt angesichts der Tatsache dass ich unverändert auf einen Rollstuhl angewiesen bin und diesen auch absehbar zur Fortbewegung brauchen werde.

Abgesehen davon, dass ich mich dennoch nie so wohl in meiner Haut fühlte soweit ich mich zurück erinnern kann, ist der ausschlaggebende Faktor ein in einem wesentlich Punkt geändertes Denkmuster: anstelle der für mich typischen negativen Grundhaltung habe ich mich mit einigem Erfolg an eine positivere Herangehensweise gewöhnt: jeden Tag bemühe ich mich um die Erinnerung an 5 positive Ereignisse des Tages – wertvoll sind hier vor allem „interpretationsfähige“ Erlebnisse, also solche, die positiv oder negativ angesehen werden können. Rund wird das Konzept, wenn man diese Technik mit Erfolg einsetzen kann, auch um einsetzende oder bestehende Stimmungstiefs zu kontern.

Dieser veränderte Blickwinkel ist die vermutlich gravierendste, aus dem Klinikaufenthalt resultierende Veränderung – zumindest soweit es um nicht äußerlich erkennbare Dinge geht.

Die Tumor-Situation

Am 15. September 2010 erhielt ich eine verheerende Diagnose: Im MRT hatte sich ein Tumor in meinem Rückenmarkskanal gezeigt. Der Tumor, zu diesem Zeitpunkt noch unbekannten Typs, dehnte sich vom dritten bis zum sechsten Nackenwirbel aus. Zu diesem Zeitpunkt war noch unklar, ob der Tumor Krebs bedeutete oder nicht und ob er sich im Rückenmark befand oder darum herum wuchs. Es stand lediglich fest, dass

  • die Beweglichkeit meiner beiden Arme seit Februar beständig abgenommen hatte, bis an den Punkt, an dem sie kaum noch zu gebrauchen waren. Meine Beine funktionierten noch, zeigten aber bereits erste Anzeichen von Unsicherheit.
  • Der Tumor würde meine Atmung beeinflussen, was letztendlich weniger als 6 Monate in der Zukunft meinen Tod zur Folge hätte.
  • Weniger als 3 Monate in der Zukunft wäre ich querschnittgelähmt gewesen.

Am 29. September, in einem neurochirurgischen Eingriff der beinahe 12 Stunden dauerte, konnte der Tumor vollständig entfernt werden.

  • Weil der Tumor entfernt werden konnte, konnten auch die Teile der Nackenwirbel, die abgetrennt worden waren, um das Rückenmark freizulegen, wieder vollständig eingesetzt werden. Die Alternative wäre eine destabilisierte oder teilweise versteifte Wirbelsäule gewesen.
  • Eine erste histologische Überprüfung des Tumors ergab seine Gutartigkeit (Typ Ependimom WHT°II). Es ist wohl eine der kleinen Ironien des Lebens, dass selbst etwas gutartiges schwere Lähmungen und den Tod zur Folge haben kann.
  • Mein Rückenmark wurde während des Eingriffs nicht verletzt, so dass wohl alle neurologischen Strukturen im Laufe der Zeit vollständig genesen werden.

Der großartigen Leistung des Chirurgen und seines Teams verdanke ich mein Leben und die Chance auf vollständige Genesung: Vielen Dank Professor Dr. Ganslandt von der Uniklinik Erlangen.