Manowar – Gods of War

Es gibt Dinge, die sind unausweichlich. Dazu gehört, unter anderem, dass ein neues MANOWAR-Album geteilte Reaktionen unter der in mehr als 25 Jahren Bandbestehen stetig gewachsenen Fangemeinde hervorruft. Zum einen sind da die, die dem Vierer Verrat an alten Werten oder gar Ausverkauf vorwerfen oder die aus anderen Gründen nicht mit dem neuen Album warm werden. Die andere Gruppe besteht aus den Leuten, die das neue Material von vorne bis hinten abfeiern, hochjubeln und vor Begeisterung kaum zu halten sind.
Ich muss ehrlich sein: Als 2002 “Warriors Of The World” erschien, konnte ich mit den meisten Songs nicht wirklich viel anfangen. Nur langsam wurde ich mit den übrigen Stücken warm und noch immer habe ich ein eher zwiespältiges Verhältnis zu der Scheibe.
Dass ich mich dennoch wie ein kleines Kind auf “Gods Of War” freute, hat seinen Grund in der emotionalen Bedeutung, die MANOWAR für mich haben: immerhin war “The Triumph Of Steel” 1992 mit die Initialzündung für mein Dasein als Fan hart rockender Klänge.

Die Vorgeschichte deshalb, um zu verdeutlichen, dass ich kein blindes MANOWAR-Groupie bin. Ich stehe vielem in der Selbstvermarktungsgeschichte und Diskografie der Band kritisch gegenüber. “Gods of War” hatte also keineswegs einen leichten Stand und hat es dennoch geschafft, mich zu überzeugen.
Alles beginnt mit ‘Overture To the Hymn Of The Immortal Warriors’, das nach einem sehr epischen Intro in einen ruhigeren Streicherpart und von dort wieder in einen breiten, lebendigen Orchesterpart übergeht. Die sehr bombastische Atmosphäre des Openers macht schon deutlich, wohin es in den nächsten gut 62 Minuten geht: Joey DeMaio hat diesmal nicht einfach die Musik für ein Album, sondern direkt ein beinahe monumentales Epos geschrieben. “Gods of War” soll den Beginn einer Reihe rund um die diversen Kriegsgötter markieren. “Thema” des Konzeptalbums ist der nordische Göttervater Odin. Welchen weiteren Kriegsgöttern sich DeMaio in Zukunft widmen wird, weiß er allerdings wohl nur selbst.

Im Verlauf des Albums präsentieren MANOWAR sich erstaunlich vielschichtig und in vielen Bereichen gut aufgestellt. ‘Army Of The Dead, Part 1’ und ‘Army Of The Dead, Part 2’ etwa sind reine A-Capella-Stücke, Choräle, die zum jeweiligen Zeitpunkt eine sich überaus gut in die Atmosphäre einfügende Verschnaufpause bieten.
Dann gibts natürlich noch die von MANOWAR gewohnten Powersongs, darunter vor allem ‘King Of Kings’, ‘Sleipnir’ oder ‘Sons Of Odin’. Die von den Fans geliebten Stücke mit den grandiosen Mitgröhl-Refrains bewegen sich überwiegend in MidTempo-Gefilden und geben einer druckvollen, basslastigen Produktion den Vorzug vor schnellerer Spielweise wie etwa bei ‘The Power’ vom “Louder Than Hell”-Album. Bei ‘Sons Of Odin’ könnte manchem Fan die einleitende Erzählpassage zu Beginn und zum Ende sauer aufstoßen. Niemand wird allerdings ernsthaft bestreiten, dass der schwere Klang der Marschtritte bei ‘Gods Of War’ perfekt zur Stimmung des Songs passt.

Auf “Gods Of War” werden allerdings noch zwei weitere altbewährte Traditionen fortgesetzt. ‘Blood Brothers’ ist eine zum heulen schöne Ode an wahre Freundschaft und eine Ballade in der stolzen Tradition von ‘Master Of The Wind’ oder ‘Courage’. ‘Odin’ erinnert in seiner Machart stark an den beinahe schon traditionell zu nennenden Rausschmeißer wie ‘Guyana (Cult Of The Damned)’ oder ‘Bridge Of Death’. Relativ düstere, schwere, stampfende Tracks, die erstaunliche Eingängigkeit und hohen Kultfaktor besitzen.

Vordringlichster Kritikpunkt all jener, die mit “Gods Of War” nichts anfangen können, dürften wohl die reinen Hörspielpassagen sein. Während Stücke wie ‘King Of Kings’ oder ‘Sons Of Odin’ immerhin noch zu einem gewissen Anteil Hörspiel und Metal vereinen, sind ‘Sons Of Odin’ oder auch ‘Glory Majesty Unity’ reine Erzählpassagen ohne jegliche Instrumental- oder Vocalparts. Zu letzterem Stück sollte man vielleicht wissen, dass es sich hierbei um die originalen Aufnahmen des inzwischen verstorbenen Arthur Pendragon Wilshire handelt, welche 1988 für ‘The Warrior’s Prayer’ vom “Kings Of Metal”-Album entstanden sind. Es mag gut sein, dass mancher nicht viel damit anfangen kann. Für mich persönlich fügen sich diese Stücke aber perfekt in das Gesamtkonzept und die Atmosphäre des Albums ein. Schwach, um nicht zu sagen peinlich wirkt lediglich die blecherne Armee computergenerierter Stimmen, die den “Warrior’s Prayer” zum Ende des Tracks wiederholen. Ansonsten sollte man sich hier nicht zu erwachsen fühlen, um sich in die Stimmung fallen zu lassen – Gänsehaut nicht ausgeschlossen.

Wo wir bei unpassend sind, fällt mir eigentlich nur ‘Die For Metal’ ein, der Bonustrack, den Joey dem RockHard-Chefred Götz Kühnemund gewidmet hat. Platten Text und simple Songstruktur beiseite gelassen, ist das allemal ein ordentlicher und etwas härterer Metalsong, der den Geist von etwa ‘Metal Warriors (Brothers Of Metal Part 2)’ oder ‘Brothers Of Metal Part 1’ beschwört. Das Problem an diesem Song ist nur, dass er so überhaupt nicht ins Konzept des Albums passt.

Mit diesem Punkt sind wir dann auch da angelangt, warum dieses Album vielen Fans nicht taugt: es passt einfach nicht ins Konzept. MANOWAR haben sich mit “Gods Of War” von einigen Traditionen verabschiedet und ein Album geschaffen, das als Ganzes nur ein Prädikat wie “Meisterwerk” oder “Meilenstein” verdient. Wer aber nicht die Zeit oder Lust hat, sich das Album im Ganzen anzuhören, wer seine Musik per Shuffle-Play oder im Vorbeigehen hört und wer nicht bereit ist, sich in die epische, durchaus Pathos-triefende Stimmung des Albums fallen zu lassen, der kann von diesem Album durchaus enttäuscht sein.
Ich persönlich aber bin ganz froh darüber, nicht schon wieder Songs über qualmende Motorradreifen, das Tragen von Lederklamotten oder etwas derartiges hören zu müssen.

“Gods Of War” vereint im Prinzip das Beste zweier Welten: Eine faszinierende Story mit durchaus größtenteils typischen MANOWAR-Songs.
Für das Album als Gesamtwerk bleibt mir nur die Höchstwertung. Schon jetzt einer der Anwärter auf das “Album des Jahres”.

Info
Wertung: 10/10
Offizielle Website: www.manowar.com
Veröffentlicht auf: Nuclear Blast Records
Veröffentlichungsdatum: 2007-02-23

Zitat des Tages (2006-10-31)

Der Staat ist das, was die meisten Menschen am Leben erhält.

Ein Komilitone im Politik-Seminar
Es ging während der Untersuchung von Thomas Hobbes Philosophie, speziell der in “Leviathan” dargestellten Verhältnisse um die Frage, warum nicht mehr Menschen von ihrem nach liberalem Verständnis gegebenen Widerstandsrecht Gebrauch machen.

Ich bin Septemberfan

Wenn man Schüler ist, zumindest in Bayern, ist September irgendwie Mist. Knapp die Hälfte des Monats hat man den drohenden ersten Tag des neuen Schuljahres vor Augen, die zweite Hälfte des Monats quält man sich dann mit organisatorischem Chaos in der Schule und außerhalb, mit Büchern, Heften, Ordnern, deren Besorgung und Unterbringung.
Wenn man arbeitet, hat man vielleicht ein paar Wochen frei – oder aber nicht mal einen Tag, weil man schon im Juni, Juli oder August frei hatte.
Als (bayerischer) Student hat man den gesamten Monat zumindest vorlesungsfrei.
Vor allem aber macht den September aus, dass er im Normalfall schon deutlich eher in Richtung Herbst als Sommer steuert, was die Temperaturen angeht. So auch heute abend. Anstatt noch um 21 Uhr mit der Hitze zu kämpfen, sah man an den wenigen Spaziergängern schon eher lange Oberteile. Überhaupt erfreulich: eher wenig Leute unterwegs, keine grillenden Schnapsleichen am Wegesrand, sehr wenig ausflügelnde Radfahrer…
Ich bin jedenfalls vor einigen Minuten von einem sehr netten, angenehmen Septemberabend zurückgekommen und jetzt etwas irritiert. Zum ersten Mal seit Ewigkeiten überlege ich, ob es an der Zeit ist, “liebgewonnene” Überzeugungen über Bord zu werfen und sich mal etwas offener zu zeigen.

Ich glaube, ich muss zum Arzt.

Liebe(r) nicht

Ich bin irgendwie wohl zu spießig und zu verkrampft für diese Welt. Nach meiner Vorstellung ist “Liebe” oder “Lieber” eine Anrede, die man für Leute verwenden sollte, denen gegenüber man tatsächlich so etwas wie Zuneigung empfindet, gar nicht mal auf einer amourösen Ebene, sondern schlicht und ergreifend im Sinne von “jemandem freundschaftlich gesonnen sein”.

Ich jedenfalls empfinde es als unangenehm, wenn ich in Mails von Lehrbeauftragten der Uni oder von Arbeitskollegen (m/w) mit denen ich kaum Kontakt habe, mit “Lieber S.H.” angeschrieben werde.

Ich finde, das ist entweder aufdringlich oder aber herablassend.
Solange man sich nicht duzt, passt meiner Meinung nach eine solche Anrede nicht, denn sie drückt eine Verbundenheit und Nähe aus, die ganz sicher nicht existiert.
Herablassend wirkt das ganze, wenn der gesamte Stil des Anschreibens so klingt, dann schwingt in der Anrede schon ein “Mein” mit und “mein lieber S.H.” klingt so, wie man vielleicht mit kleinen Kindern spricht, die ungezogen waren oder denen man mitteilen möchte, dass sie etwas nicht verstehen.

Was spricht denn gegen ein formloses “Hallo Herr Hirschmann”, das ist weniger aufdringlich und zugleich weniger gezwungen und verkrampft als “Sehr geehrter Herr”, bei dem ich mir schon auch selbst leicht veräppelt vorkomme.

Möglicherweise sollte man sich drüber freuen, dass es Menschen gibt, die derart offen und aufgeschlossen sind – zumindest augenscheinlich. Ich bleibe trotzdem in den meisten Fällen dabei:
“Liebe(r)… lieber nicht”.

Danke.

Warcraft-Welten

Bei einer kleinen Aufräumaktion fiel mir heute eine etwas ältere Backup-DVD in die Hände, die neben zahlreichen Musik- und Juxvideos auch die Videosequenzen aus Warcraft III – Reign of Chaos enthielt. Nachdem ich ja ohnehin in nostalgischer Stimmung bin, wie in quasi allen letzten Einträgen erwähnt, warf mich auch dieser Zufallsfund – nach dem Genuss der diversen In- und Outro- sowie Zwischensequenzen in einen Zustand von Nostalgie und Nachdenklichkeit.

Ja, ich gehöre zu denen, die der Serie seit 1994 die Treue halten. 1994, als drei Viertel der heutigen Internet-Nutzer Computer noch für ausschließlich Schreibmaschinen mit Bildern oder Spielzeug für Mathefreaks hielten. 1994, als die kalifornische Softwareentwicklungsschmiede Blizzard Entertainment mit mit Warcraft: Orcs & Humans nicht nur den ersten Teil der Warcraft-Reihe veröffentlichte, sondern auch eines der ersten Echtzeitstrategiespiele überhaupt. Ausgeliefert wurde das Originalspiel noch auf niedlichen 3,5″ Disketten – oder alternativ, für die ganz Fortschrittlichen, auch schon auf CD-Rom. Und bevor jemand fragt: Ja, diese CD-Rom liegt noch immer hier :-)

Was einmal daraus werden würde, ahnte man im Hause Blizzard sicher nicht.

1995 folgte mit Warcraft II: Tides of Darkness der Nachfolger, der dank SuperVGA-Auflösung nicht nur besser aussah, sondern auch ein deutlich besseres Interface bot, vor allem aber die spannende Geschichte des Königreichs Azeroth, des mächtigen Magiers Medivh (Alliteration nicht beabsichtigt) oder des Orc-Hexenmeisters Guldan voranbrachte. Blizzard spendierte “Tides of Darkness” ein Add-On, mit zusätzlichen Karten, neuen Charakteren und – natürlich – weiteren Storyaspekten und -elementen.

Und obwohl ich in diesem einen Punkt nie das Geek-Klischee erfüllte – spätestens mit Warcraft II war ich zum Fantasy-Freak geworden. Ich wollte Drachen, wollte Schwerter und Äxte, wollte Orcs und gepanzerte Menschen gegeneinander in die Schlacht schicken, wollte Magie…

Lange Jahre nährte Blizzard die Gerüchte um ein Rollenspiel namens “Warcraft Adventures”, präsentierte Konzeptzeichnungen, grobe Storyideen und fütterte die Presse mit Gerüchten. Ich war niemals ein Rollenspielfan, konnte mich nie für die Spielidee begeistern. Durch die Welten Azeroths oder Draenors aber wäre ich gern mit einer Gruppe NPCs gezogen.

2002 aber kam erstmal Warcraft III: Reign of Chaos. Das Intro-Video wurde vorab als Quasi-Promotion für den damals noch recht neuen und extrem beeindruckenden DivX-Videocodec verwendet. Nicht nur die Videoqualität veranlasste mich, den Trailer wieder und wieder anzusehen. Jahre nach dem letzten Lebenszeichen meiner geliebten Fantasy-Welt kündigte sich Neues, Großes, Prächtiges an. Am Erscheinungstag hielt ich das Spiel in Händen und war mit Eifer dabei. Nicht nur, dass plötzlich zu Orcs und Menschen zwei weitere Rassen, Nachtelfen und Untote nämlich, gekommen waren – es gab auch Dutzende neue Einheiten, Karten, Ländereien zu entdecken. Und überhaupt sah das Spiel fantastisch aus – nicht nur in den Videosequenzen, sondern gerade auch im Spiel selbst. Ob die Untoten das fruchtbare Land langsam aber sicher in eine schwarze Einöde verwandelten um dort bauen zu können oder die Eis- und Feuerdrachen ihren tödlichen Atem auf den Feind niedergehen ließen… Das Spiel war wunderschön und die Story zog mich noch tiefer ins Warcraft-Universum hinein.

Unweigerlich kam irgendwann der Punkt, an dem andere Spiele mich stärker in Anspruch nahmen. Das Add-On “The frozen Throne” hatte bei mir zwar eine ähnlich anhaltende Motivationskurve wie das Hauptspiel, dennoch war irgendwann einfach der Punkt erreicht, an dem “ein oder zwei Runden Warcraft zocken” nicht mehr zur Tagesgestaltung gehörten.

Als ich bereits begann, mich auf Warcraft IV zu freuen, kam dann der Tiefschlag aus Kalifornien: Sämtliche Pläne für “Warcraft Adventures” waren eingestampft worden. Kein Singleplayer-Rollenspiel sondern ein reines Online-Game sollte es werden. Der Name: World of Warcraft (Der Schlusssatz des originalen “Warcraft”-Intros lautet übrigens: “Welcome to the World of Warcraft”).

Ich war noch immer interessiert, wenn auch nicht mehr so übermäßig, gerade auch weil schon Gerüchte aufkamen, dass eine monatliche Gebühr von 10 EUR fällig sein würde.

Nun, kam Zeit, kam Rat, kam “World of Warcraft”.

Obwohl ich nun also ein absoluter Fan der Serie bin, die eingeschweißten “Actionfiguren” in einem Regalfach stehen habe, diverse Bücher und Fanfiction gelesen habe, jedes Spiel und Addon der Serie (ich schließe WoW bewusst aus) gekauft habe und obwohl die Untoten- und die Orc-Boxart zu den wenigen Postern gehören, die meine Zimmer (nicht fragen, kompliziert und langwierig) schmücken… trotz all dieser Faktoren hat Blizzard mich mit “World of Warcraft” vor den Kopf gestoßen und als Kunden verloren, vielleicht sogar auf Dauer aus den Warcraft-Welten vertrieben.

In “meinen” Warcraft-Welten ging es um epische Schlachten zwischen Gut und Böse, um die Zerstörung gegnerischer Festungen, die Eroberung gegnerischen Territoriums, die Entdeckung magischer Talismänner oder die Erforschung neuer Technologien und Zauber.

Es ging nicht darum, monatlich 10 EUR an den Provider zu überweisen, nicht darum, seinen Charakter möglichst schnell auf Stufe 60 hochzupaddenpushen, nicht darum, mit dem Verkauf von Gegenständen in der wirklichen Welt ein kleines Vermögen anzuhäufen.

Anders gesagt: “World of Warcraft” hat das Warcraft-Universum banalisiert, die Fantasy, das Faszinierende, das Begeisternde, das Geheimnisvolle ein für allemal daraus vertrieben.

Vielen Dank, Blizzard Entertainment.

Filmrezension: Herr Lehmann

Herr Lehmann heißt eigentlich Frank, aber da er schon bald dreißig wird, nennen ihn alle nur noch “Herr Lehmann”.

Herr Lehmann ist der Schutzpatron aller Tresenkräfte, Bierkonsumenten und Liebhaber sinnloser Gespräche, die sich im Schutz der Mauer im Berlin-Kreuzberg des Jahres Jahres 1989 eingerichtet haben.

Während sich im Ostteil der Stadt große gesellschaftliche Umbrüche ankündigen, hält auch viel Unerwartetes Einzug in Herrn Lehmanns Leben: Ein aufdringlicher Hund, der Besuch seiner Eltern, die Liebe zur schönen Köchin Katrin, sein bester Freund Karl und ein unbekannter Kristallweizen-Trinker sorgen in kurzer Zeit für mehr als Unruhe und Herr Lehmann hat alle Hände voll zu tun, diese Herausforderungen zu bewältigen. Und ausgerechnet am Tag seines 30. Geburtstages fällt auch noch die Mauer.

Wer Christian Ulmen seinerzeit auf MTV in “Unter Ulmen” oder einer seiner anderen Sendungen gesehen hat, der wird gewisse Zweifel über seine Auswahl für die Hauptrolle in einem Spielfilm teilen. Regisseur Leander Haußmann scheint diese Zweifel nicht gehabt zu haben und bewies damit den richtigen Riecher. Ulmen spielt eine reichlich seltsame Gestalt in einer reichlich seltsamen Stadt – und das sehr überzeugend.

Haußmann ist es gelungen, einen netten, kleinen Film über einige sehr skurile und doch – oder gerade deswegen? – liebenswerte Charaktere zu machen.
In einer Zeit, in der man nur mit immer teureren Spezieleffekten und großen Namen mehr Menschen ins Kino bringt – und auch bringen muss, um sich nicht selbst das Wasser abzugraben – hat Haußmann ein gewagtes Experiment versucht, indem er eine Geschichte über echte Menschen von echten Menschen erzählen lässt.

Ein Regie-Kollege Haußmanns, Detlev Buck, findet sich in einer der wichtigsten Rollen, nämlich der des Lehmann-Bewunderers, Freundes, Barkeepers und Künstlers Karl, der wie auch Lehmann selbst, in der Geschichte einige Male zwischen (beinahe) strahlendem Helden und tragischer Figur pendelt.

Die Geschichte über einige seltsame Gestalten an einem seltsamen Ort zu einer seltsamen Zeit erinnert ein wenig an “The Big Lebowsky”. Zumindest geht es mir so, denn in beiden Filmen wird auf zwar überzogene aber doch gerade irgendwie noch glaubhafte Art und Weise die Beziehung von Menschen in diesen chaotischen Zeiten zueinander geschildert. Den Reiz machen dabei sowohl die durchweg tolle Besetzung als auch die Story selbst aus.

“Herr Lehmann” ist kein spektakulärer Film und mancher wird ihn ohne Zweifel langweilig finden oder über mangelndes Verständnis klagen. Ich denke, dass es genau darum geht – es gibt nicht wirklich viel zu verstehen und es geht nicht darum, Unterhaltung für die ganze Familie zu bieten. Viel mehr geht es bei “Herr Lehmann” um ein gewisses Understatement, denn der Film ist in seiner ganzen Machart eher leise und dezent und wer bereit ist, sich auf diese leise und dezente Art einzulassen, der wird ohne Zweifel gut unterhalten werden.

Der Regisseur hat es geschafft, eine kleine aber durchaus fesselnde Welt zu erschaffen, an der er den Zuschauer durch die Kamera teilhaben lässt. Er bietet eine unterhaltsame Momentaufnahme des Lebens einiger Menschen, wie man sie nicht überall sieht und dessen, was in dieser kleinen Welt geschieht und bittet das Publikum im Gegenzug nur um die Bereitschaft, sich auf den Film einzulassen. Damit hat Buck ein faszinierendes Kunststück vollbracht, nämlich großes Kino auf sehr unaufdringliche Art zu produzieren. Prädikat unbedingt sehenswert.

Der Film liegt auf der DVD in deutscher Dolby-Digital-5.1-Tonspur mit optionalen englischen Untertiteln vor. Es gibt einen Audiokommentar von Regisseur Leander Haußmann und Drehbuchschreiber Sven Regener, das beinahe schon obligatorische und trotzdem sehenswerte “Making of”, eine von Christian Ulment kommentierte Fotogalerie, Interviews mit und Infos über Cast & Crew sowie einige entfallene Szenen, die auch beim zweiten Mal ansehen noch Spaß machen. Zudem findet sich ein Videoclip im Bonusmaterial, nämlich “Collapsing New People (Westbam Remix)” von Fad Gadget.
Ausserdem liegt dem Film ein achtseitiges Büchlein namens “Tagebuch eines Praktikanten” bei, das eben jener Praktikant, David Gruschka mit Namen, geschrieben hat. Unter www.herr-lehmann.de gibt es das ganze auch online, die Aufmachung der gedruckten Version ist aber unzweifelhaft ansprechender.